Imposante Baumstämme stapeln sich vor dem geduckten Gebäude. Manche sind noch im Rohzustand, die zerfurchte Rinde mit Moos bewachsen. Andere sind geschält, beschnitten. Aus einem Baumstrunk wächst scheinbar ein Blumentopf – das kann sich schon morgen wieder ändern. Jetzt, wo die Tage wieder wärmer werden, zieht es Christian Ryter wieder öfter nach draussen zum Arbeiten.
Der «Holzversager, Blechbeschwörer und Plastiksammler», wie er sich selber bezeichnet, hat sich vor bald drei Jahren auf dem alten Schlachthofareal niedergelassen. Er konnte damals das Atelier von seiner Kollegin Lucia Strub übernehmen. Die Steinmetzin habe ihn eines Tages angerufen und gesagt, ihr Atelier werde frei – wenn er Interesse habe, müsse er sofort zusagen.Das hat er getan – und es nicht bereut. «Das war ein Glücksfall», schwärmt Christian, während er am Tisch im geräumigen Atelier Kürbiskerne in Saatguttöpfchen steckt. Der vielseitige Künstler hat auch einen grünen Daumen. Die Pflanzen wüssten den sonnigen Standort auf dem Dach seines Werkraums zu schätzen; unglaublich, wieviele Tomaten er letzten Sommer habe ernten können…
Was Christian an seinem Atelier besonders schätzt, ist der grosszügige Raum, der viel Platz bietet. Und der Freiraum, den er hier hat: Niemand beklagt sich, wenn er Plastik schreddert oder Baumstämme mit der Kettensäge bearbeitet. Die Nachbarninnen und Nachbarn hätten untereinander ein sehr gutes Verhältnis. Man sei immer bereit für einen Schwatz und helfe sich auch gegenseitig aus, etwa mit Werkzeugen oder Reparaturen.
So steht zum Beispiel gegenwärtig in einer Ecke des Ateliers ein filigranes tamilisches Kunstwerk – Teil eines Hochzeitsaltars, das Christian für die Familie aus Sri Lanka, deren Catering-Unternehmen im Nachbargebäude eingemietet ist, geflickt hat.
Das Atelier verfügt über alles, was es braucht: Es hat Strom, Wasser und auch eine Heizung. Allerdings ist es unmöglich, den grossen Parterreraum warm zu kriegen. Deshalb zieht sich Christian in der Winterzeit gerne in den oberen Stock des Gebäudes zurück, von wo er einen guten Überblick über das geräumige Erdgeschoss hat.
Vermutlich befanden sich früher im oberen Stock die Labors, während der untere Teil laut einem alten Plan als «Zerlegeraum» diente. An der pinken Aussenwand steht in kaum mehr lesbaren Buchstaben Schweine…
Wie auch immer. Heute gehört dieser Ort voll und ganz der Kunst. Die Zeiten des Schlachtens sind längst vorbei. Auf dem Ofen des ehemaligen Kesselhauses, das ebenfalls zu Christians Atelier gehört, hat er sich eine Plastikschredderanlage eingerichtet. Hier wurde einst der für den Schlachtbetrieb notwendige Dampf produziert.
Der grosse Atelierraum, wo früher Schweine zerlegt wurden, gleicht einem Museum: Wer sich umschaut, findet hier unzählige Holzskulpturen, die Christian mit grosser Sorgfalt und Detailtreue angefertigt hat. In Holz nachgebildete metallene Maschinenteile oder Plastikroboter sind seine Lieblingsmotive. «Nach der Schule begann ich eine Lehre als Automech – mein Traumberuf», erzählt der Künstler. Er war noch ein Teenager, als er von einem Auto angefahren und schwer verletzt wurde. Danach hat er die Lehre abgebrochen. «Ich war traumatisiert, wollte nichts mehr mit Autos zu tun haben.»
Auf den langen Spitalaufenthalt folgten Reisen durch Südeuropa, anschliessend absolvierte Christian den Vorkurs der Kunstgewerbeschule Bern anschliessend an der Schnitzlerschule Brienz die Ausbildung zum Holzbildhauer.
Seine Faszination für die Technik ist jedoch geblieben. Statt klassischer Sujets wie Steinböcke oder Kühe entstehen unter Christians Händen seither Alttags- und Technikgegenstände wie Staubsauger, Gasbrenner oder Roboter aus Holz.
Christian ist auch ein grosser Sammler: Plastikabfall in jeder Grösse und Form wird geschreddert und bearbeitet und erhält so eine neue Funktion. Seit über dreissig Jahren sammelt er zudem Plastikflaschen – mittlerweile sind so Hunderte wenn nicht Tausende von Flaschen zusammengekommen – von jeder Sorte jeweils nur ein Exemplar.
Sorgfältig gewaschen und von allen Rückständen befreit, ordnet der Plastiksammler seine Unikate nach Kriterien wie Typus oder Farbe. Ein faszinierendes, unendlich fortsetzbares Werk…
Doch nicht nur in den Innenräumen des Ateliers findet der Besucher, die Besucherin eine kreative und inspirierende Vielfalt von Werken, Werkzeugen und zusammengetragenen Gegenständen. Auch auf dem Platz vor dem Atelier gibt es einiges und immer wieder Neues zu entdecken. Momentan entsteht gerade ein monumentales Werk. «Ein Raumschiff aus Holz», verrät der Künstler. Mit Astronauten im Anflug…
Dessen Herzstück aus kostbarem Zedernholz steht Mitte April noch im Atelier, wo es vor Nässe und Kälte geschützt ist. In den kommenden Wochen und Monaten will Christian auf dem Vorplatz des Ateliers daran weiterarbeiten.
Wer Glück hat, kann auf seinem Spaziergang über das Schlachthofareal dem Holzkünstler bei der Arbeit zuschauen. Wie alle Nutzerinnen und Nutzer, die momentan auf dem Areal eingemietet sind, ist auch Christian erleichtert, dass das Autobahprojekt vom Tisch ist. Und hofft, dass er noch lange hierbleiben und miterleben kann, wie sich das Areal zu einem sozialen und kulturellen Treffpunkt entwickelt…
Weitere Infos: www.ryterhopla.ch
Text und Bilder: Gabriela Neuhaus