Insider wissen: Die Kultur hat sich im ehemaligen Bieler Schlachthof längst eingenistet. In der Szene heisse der angesagte Ort hier «La Trap», erzählt Cedric Edia. Er ist einer, der es wissen muss.
Die Szene, das sind Jugendliche aus Biel und der ganzen Region, die in Vor-Coronazeiten zuweilen in Scharen hierher gepilgert sind. Um Musik zu machen und zu hören, um Partys zu feiern… Damit ist es aktuell natürlich leider vorbei. Wie überall. Aber die Produktion von Musik und Videos geht weiter, das pluri-kulturelle Kollektiv Bernoise lebt, seine Promotoren sind voller Tatendrang und Ideen. Die Produktionen laufen trotz allem auf Hochtouren…Vor rund acht Jahren von Hicham El Mamouni und Cedric Edia gegründet, hat es sich stets weiter entwickelt. Insbesondere, seit man an der Murtenstrasse in Räumlichkeiten des ehemaligen Schlachthofs einen einmaligen Ort gefunden hat, der Platz für Kreativität und Freiräume bietet.
«Unter dem Dach von Bearnoise gibt es verschiedene Projekte und Gruppen», fassen Hicham und Cedric ihr Herzensprojekt zusammen und beginnen aufzuzählen: «Thug Life und Traphouse sind vor allem Musik und Video-Projekte, für die wir mit Newcomern zusammenarbeiten. – Trap, das ist eine bei den Jungen besonders angesagte Form von Rap… Wir unterstützen die Jugendlichen bei der Umsetzung ihrer Ideen und Träume. So zum Beispiel auch eine junge Künstlerin, die ihr eigenes Schuhlabel aufbaut und weitere Kreative, die wir im Rahmen von Bearnoise fördern. — Bearnoise, das ist keine Organisation — das ist eine Ideologie!»
Als sich die beiden vor über zehn Jahren kennenlernten, hatte Hicham sein Atelier noch in Moutier, in der ehemaligen Maschinenfabrik «La Pétermann». Die beiden verband schon damals der Wunsch, musikalische Newcomer zu unterstützen und Jugendlichen Entfaltungsmöglichkeiten zu bieten. Sie beschlossen, Biel sei das richtige Pflaster für die Umsetzung ihres Traums. Seither haben sie vieles ausprobiert – und einiges erreicht.
Träume verwirklichen…
«Hicham und Cedric verstehen es auf einmalige Art und Weise, die Kreativität von jungen Menschen zu fördern und so aus rohen Steinen KünstlerInnen zu formen», schwärmt Luiz Freire. Der Vergleich kommt nicht von ungefähr: aus Rohmaterialien Schmuckstücke kreieren ist sein Metier…
Das Engagement der beiden Bearnoise-Gründer hat den Schmuckkünstler derart begeistert, dass er sich dem Kollektiv angeschlossen hat und ihm seit fünf Jahren den Grossteil seiner 4‑Zimmerwohnung im grossen Gebäude an der Murtenstrasse 70 zur Verfügung stellt. Selber bewohnt er noch ein Zimmer im Dachstock – die restlichen Räume sowie die grosse Terrasse teilt er sich mit dem Kollektiv.
Für die gesamte Wohnung bezahlt Luiz der Stadt pro Monat eine Grundmiete von CHF 670.–, hinzu kommt ungefähr noch einmal soviel für Nebenkosten. Das alte Haus (Baujahr 1916) ist schlecht isoliert, die Fenster in einem schlimmen Zustand, das schlägt sich auf die Heizkosten nieder.
Ansonsten lassen die Farbe an den Wänden sowie die gut unterhaltene Einrichtung zuweilen vergessen, wie vernachlässigt das altehrwürdige Gebäude in Tat und Wahrheit ist. Immerhin: In der Küche steht seit ein paar Tagen ein neuer Kochherd. «Die Stadt hat uns den kaputten Herd ersetzt und alles geflickt, das war dringend nötig. Sonst hätte es noch gefährlich werden können», sagt Luiz Freire, der sich als passionierter Koch outet — und sich entsprechend über den neuen Gasherd freut.
Er wohnt seit über 15 Jahren im ehemaligen Schlachthof. Als er damals mit seiner Familie von Genf nach Biel gezogen ist, habe er sich sogleich in diese Wohnung verliebt, erinnert sich Luiz. Nicht zuletzt, weil sie so viel Freiraum bietet.
Damals habe gleich nebenan, im einstigen Direktionsgebäude des Schlachthofs, wo jetzt das Contact untergebracht ist, noch eine italienische Grossfamilie mit sechs Kindern gelebt: «Der Vater war Maler von Beruf, deshalb war dieses Haus stets in einem besseren Zustand als unsere Wohnung», erinnert sich Luiz. Schon damals waren der Grossteil der Hallen und Räume des ehemaligen Schlachthofs als Dépots vermietet. Der Ort habe aber immer wieder auch Künstlerinnen und Künstler angezogen. So etwa die Steinmetzin Lucia Strub oder den «Holzversager, Blechbeschwörer und Plastiksammler» Christian Ryter, den man regelmässig auf dem Areal an der Arbeit trifft.
Klavier, Laute und Trap
Zurück zu Bearnoise an der Murtenstrasse 70: Steigt man die Treppe hoch, empfängt einem vor dem Eingang ein «einheimisches» Burger&Jacobi-Klavier, auf dessen Deckel die Holzskulptur einer indonesischen Lautenspielerin thront.Herzstück der Wohnung ist das voll ausgerüstete Studio mit Aufnahmekabine. Eine grössere Anzahl von Unterstützenden hätte sich vor einigen Jahren zusammengefunden, um den Jungen die Möglichkeit zu bieten, hier ihre eigene Musik und eigene Filme zu kreieren, erzählt Hicham.
Unzählige Aufnahmen seien seither entstanden, Musik- und Videoclips, die über Youtube, Instagram oder Facebook ihr Publikum fänden. Auch verschiedene Hits. Zudem habe Bearnoise auch schon verschiedene Konzerte etwa in der Coupole organisiert…
Bei unserem ersten Besuch im Studio an der Murtenstrasse, ist Jaysap mit einem Kollegen gerade am Arbeiten. Er sei seit 2013 in Biel, komme ursprünglich aus Kamerun, erzählt er uns und posiert für uns vor dem Schnittplatz. Er gehört zu den regelmässigen Besuchern des Studios und hat auch schon einige Videoclips veröffentlicht. Auch bei unserem zweiten Besuch ist Jaysap wieder da – Musik, sagt er, sei sein Leben…Dann führt uns Luiz in einen weiteren Raum, der augenfällig im Umbruch ist. Hier hätten sie schon angefangen, ein Tanzstudio einzurichten – mit Spiegel und allem, was es brauche.
Dann sei leider Corona dazwischen gekommen, sagt Luiz. Momentan ist nichts, mit Tanzen. Trotzdem wollen sie demnächst einen Parkettboden verlegen, einen grossen Spiegel an die Wand hängen, um bereit zu sein, wenn man endlich wieder dürfe…
Überhaupt sprudeln die Ideen und Pläne nur so, im Gespräch mit Hicham, Cedric, Luiz und Jaysap vom Bearnoise-Kollektiv.
Natürlich haben sie von der Idee gehört, das Schlachthofareal zu einem Kultur- und Begegnungszentrum weiter zu entwickeln und sind begeistert. «Endlich eine gute Nachricht für den alten Schlachthof!» freut sich Luiz.
Der Anfang ist gemacht: Dank Bearnoise ist die Kultur auf dem ehemaligen Schlachtareal bereits heimisch. Und mit dem Kollektiv gibt es ein Netzwerk, an dem wir gemeinsam weiterspinnen können.
Affaire à suivre…
Text und Bilder: Gabriela Neuhaus
Bildhauer, Rapper, die Kultur ist schon bereits da im Schlachthof, wunderbar! Sie belegt aber erst 5% des Raumes. Hoffentlich sind es bald 50% und am Ende 100%!