Wer nach alten Geschichten in und um den Bieler Schlachthof sucht, stösst im NZZ-Archiv auf eine Artikelserie über einen Mordfall aus dem Jahr 1962. Daraus lässt sich folgende Tragödie rekonstruieren:
In den frühen Morgenstunden des 4. August erschiesst der 35jährige Bieler Stadttierarzt Anton Schuler seine schlafende Ehefrau Maria aus nächster Nähe. Tatort: Seine Dienstwohnung im Verwaltungsgebäude des Schlachthofs an der Murtenstrasse 68. Nach dem Mord holt er einen Priester, der der Ermordeten die letzte Ölung verpasst, bringt ein paar Briefe auf die Post und stellt sich anschliessend der Polizei.
Ein Jahr später, im Oktober 1963, wird die Tat während einer Woche vor dem seeländischen Geschworenengericht in Biel verhandelt. Der NZZ-Gerichtskorrespondent berichtet täglich vom Prozess, zitiert aus der Anklageschrift, fasst Zeugenaussagen zusammen und vermittelt eindrückliche Hintergründe zu dieser traurigen Geschichte.
Der Täter Anton Schuler entstammt einer bekannten Politikerfamilie aus Rothenturm/SZ. Er ist der Sohn des dortigen Posthalters, zwei seiner Brüder bekleiden hohe politische Ämter, ein weiterer Bruder ist Arzt in St. Gallen. Anton Schuler absolviert in Freiburg und Zürich ein Veterinärstudium. Nach Erlangung des eidgenössischen Tierarztpatents führt er kurze Zeit eine Kleintierpraxis in Basel, bevor er 1956 als Schlachthoftierarzt nach Genf wechselt und 1962 als Stadttierarzt und künftiger Schlachthofverwalter nach Biel gewählt wird.
Murtenstrasse 68: Der Tatort
Am 1. Juli 1962 tritt er seine Stelle in Biel an. Er zieht allein in seine neue Dienstwohnung auf dem Schlachthofareal. Seine Ehefrau Maria Schuler-Opekawska, mit der er zu diesem Zeitpunkt bereits einige Jahre verheiratet ist, lebt weiterhin in Freiburg.
Die beiden hatten sich während des Studiums in Freiburg kennen und lieben gelernt. Sie ist gebürtige Polin und stammt aus Warschau. Ihr Vater, ein polnischer Journalist, wurde 1943 von den Nazis hingerichtet. Die damals gerade mal 18jährige Maria engagierte sich als Leiterin einer Sanitätsgruppe während des Aufstands gegen die Nazibesetzungsmacht. Sie leidet danach zeitlebens «unter starken Erinnerungen an den Krieg», wie der NZZ-Berichterstatter schreibt.
Die Familie von Anton widersetzte sich anfänglich der Verbindung. Die beiden heiraten trotzdem – vorerst standesamtlich – zwei Jahre später dann auch kirchlich. Doch die Ehe steht von Anfang an unter einem unguten Stern: Bald schon zieht sich Maria zurück, wird misstrauisch und verschlossen. Laut einem psychiatrischen Gutachten steht sie «unter dem Einfluss einer chronischen Schizophrenie».
Sie fürchtet sich vor ihrem Ehemann und will sich scheiden lassen. Anton ist dagegen, weil er befürchtet, dass sich nach einer Scheidung «niemand mehr um die Seele der Frau kümmern und ich immer mit ihr Mitleid haben würde», wie er in seinem Tagebuch schreibt. Deshalb will er Maria töten. Aber auch, um sie loszuwerden: Er hat eine neue Freundin, die er heiraten möchte. Vor Gericht erklärt der psychiatrische Experte, bereits im Oktober 1961 habe «der messerscharfe Gedanke», er müsse seine Frau erschiessen, von Anton Besitz ergriffen und in ihm «einen ungeheuren Angstzustand» ausgelöst.
Er schafft sich eine Schusswaffe und Munition an. Am Freitag, 3. August 1962 kommt Maria zu ihm nach Biel auf Besuch. Sie verbringt die Nacht auf dem Sofa in Antons Büro. Dieser kann nicht schlafen – laut dem psychiatrischen Gutachter soll seine Zurechnungsfähigkeit in einem mittleren Grad herabgesetzt sein. «In der Tatnacht habe Schuler lange mit sich selber gekämpft. Er habe zweimal das Gewehr sinken lassen, weil er auf einen «Fingerzeig Gottes» hoffte», zitiert der NZZ-Berichterstatter den Verteidiger des Angeklagten.
Schliesslich richtet er das Gewehr wieder auf seine Frau. Draussen ist es schon hell, als Anton Schuler um 5.30 Uhr auf den Auslöser drückt. Niemand hört den Schuss, der Marias Leben beendet. Anton wird verhaftet, die Stadt Biel muss sich einen neuen Stadttierarzt und Schlachthofverwalter suchen.
Am 4. Oktober 1963 – 14 Monate nach der Tat – verurteilt das Geschworenengericht in Biel den Angeklagten wegen Totschlags zu fünf Jahren Zuchthaus.
© Gabriela Neuhaus
Fünf Jährchen Zuchthaus für einen geplanten Mord… aber es war ja nur eine Frau, da muss man Verständnis haben.