In seinem Modell hat Nicolas Tschabold die ehemalige Direktionsvilla mit all ihren Feinheiten detailgerecht nachgebildet. Ebenso die alten Schlachthallen von 1885 und das imposante Gebäude entlang der Salzhausstrasse. «Das Bestehende auf diesem Areal ist eindrücklich und interessant – mein Ziel war es, ein Maximum davon zu erhalten», erklärt der Jung-Architekt seine Arbeit, die am letzten Wochenende auf dem Schlachthofareal in Biel ausgestellt war.
Wie 23 seiner StudienkollegInnen an der Hochschule für Technik und Architektur in Fribourg hat er sich in den letzten Monaten intensiv mit dem Areal befasst: Im Rahmen ihrer Bachelor-Diplomarbeit hatten sie die Aufgabe, auf der rund 8000 Quadratmeter grossen Parzelle eine Baufachschule zu planen. Dabei gingen nicht alle mit der alten Bausubstanz so sorgsam um wie Nicolas: Einige Studierenden machten kurzerhand Tabula Rasa, um das Areal von Grund auf neu zu bebauen.
Der Anstoss zu dieser fiktiven Planungsarbeit kam ursprünglich von Stephan Buchhofer, einem Bieler Architekten und Studienleiter an der Fribourger Hochschule: Nach dem endgültigen Aus für die Bieler Westast-Autobahn, die das Schlachthofareal in eine tiefgelegte Asphaltpiste transferiert hätte, eröffneten sich hier plötzlich neue Möglichkeiten. Plötzlich konnte der zum Unort deklarierte Schlachthof neu betrachtet werden. Ein geeignetes Objekt für studentische Recherchen, wie Stephan Buchhofer ausführte: «Dieses Areal hat es verdient, auf verschiedenen Ebenen getestet zu werden. Es hat ein riesiges Potenzial, insbesondere auch für eine öffentliche Nutzung.»
Während die einen Studierenden in ihren Arbeiten vorschlagen, alles platt zu machen und auf dem Areal ein Riesengebäude zu platzieren, wollen andere Alt und Neu verbinden, verschiedene Nutzungen ermöglichen oder die Madretschschüss wieder ans Tageslicht holen. Die Vielfalt und Bandbreite der Herangehensweisen bietet eine spannende Diskussionsbasis, um Ideen und Visionen für die Zukunft des Areals weiterzuspinnen.
Am Wochenende vom 2./3. Oktober war eine Auswahl der Bachelor-Arbeiten in der ehemaligen Schlachthalle auf dem Areal ausgestellt. Die Besucherinnen und Besucher waren beeindruckt von den unterschiedlichen und kreativen Lösungen für das Areal und dessen Umgebung, dargestellt mit Visualisierungen und filigran gebauten Modellen.
Bereits anlässlich der Vernissage vom Samstag drehten sich die Gespräche immer wieder um die Frage: Erhalten, erneuern, abbrechen und ersetzen? Die zahlreichen Gäste aus Fribourg und der Westschweiz, die das Areal zum ersten Mal besuchten, waren allesamt begeistert vom Ort und dessen Charme. – Dies wohl nicht zuletzt auch dank dem von der Fachhochschule offerierten Apéro, geliefert von der bestehenden Gastronomie auf dem Areal: Wein von der Cave des Gourmets und köstliche tamilische Häppchen aus Samis Schlachthofküche. Einmal mehr haben die ansässigen Schlachthöfler – sowie diesmal insbesondere auch die Firma Baronello, die ihre Räumlichkeiten zur Verfügung stellte – für ein tolles Gelingen gesorgt. Genauso wie die beiden DJs, die mit ihrem Sound die alten Schlachthallen bespielten.
Am Sonntagvormittag ging es dann mit Kaffee, Gipfeli und selber gemachter Züpfe weiter. Nach der morgendlichen Stärkung stellten die Diplomandinnen Nicolas Tschabold, Julia Borrello und Maëlle Gatard ihre Entwürfe vor. Alle drei wollen möglichst viel der alten Bausubstanz erhalten. «Die alten Gebäude sind die Seele des Areals», begründete Maëlle Gatard ihren Entscheid. Julia Borrello schlägt gleichzeitig Erhalt und Verdichtung durch den Bau eines Schul-Hochhauses vor, wo Klassenzimmer untergebracht werden sollen. Die renaturierte Madretschschüss durchfliesst in ihrem Projekt einen Park für Studierende und Quartierbewohnende – das gesamte Areal wird autofrei... Und Nicolas Tschabold will die bestehenden Gebäude sowohl innen wie aussen möglichst so erhalten, wie sie sind – auch aus Gründen der Nachhaltigkeit.
In der folgenden Diskussionsrunde waren sich erst einmal alle einig: Tabula Rasa darf es nicht geben! «Die Erhaltung des Schlachthofareals ist für die Identität der Stadt Biel von Bedeutung», lautete etwa das Statement von Margrit Wick. Die Historikerin recherchierte einst im Auftrag der Westast-Planer zum Schlachthof und seiner Geschichte und erinnert sich daran, wie sie einst «mit Tränen in den Augen» zur Kenntnis genommen habe, dass das Verwaltungsgebäude zum Abbruch freigegeben wurde.
Zum Glück ist es dann nicht soweit gekommen – nun gelte es, nach vorne zu schauen, auch darüber herrschte noch Konsens. Im Zentrum der engagierten Diskussion stand deshalb die Frage: Wie weiter?
Samuel Bill vom Terrain Gurzelen kennt das Areal von früher: Er hatte einst gleich gegenüber im alten Restaurant Schönegg gewohnt, kurz vor dessen Abbruch, und erinnert sich: «Damals habe ich oft hier herüber geschaut und gedacht: Da könnte dereinst etwas Schönes entstehen! – Die Voraussetzungen sind anders als in der Gurzelen: Dort erhalten wir das Terrain von der Stadt gratis zur Verfügung gestellt, als Zwischennutzung. Hier gibt es schon eine Zwischennutzung – und die Entwicklung soll langfristig erfolgen...»
Ruth Tennenbaum brachte die Idee einer Entwicklung nach dem Modell der Roten Fabrik in Zürich in die Runde. Angepasst an die Bedürfnisse von Biel, mit einem Mix aus Gastronomie, Kultur und Kleingewerbe. Unter anderem mit einem neuen Spielort fürs Filmpodium, was aber eine langfristige Sicherung des Areals voraussetzen würde, wie sie betonte. Auch Hervé Roquet plädierte dafür, das Vorhandene zu nutzen: Die Gebäude seien inspirierend, ein guter Ort für Kulturschaffende, die in der Region zunehmend Mühe hätten, geeignete Atelierräume zu finden. Einiges habe sich auf dem Areal bereits entwickelt, diesen Faden gelte es weiterzuspinnen...
Dem widersprach der Grünen-Politiker Beno Loderer vehement und forderte ultimativ: «Die jetzigen Nutzer müssen raus, die bestehenden Gebäude können umgenutzt werden, mit dem Rest des Areals sollten wir uns Zeit lassen.» Mit dieser Willensäusserung erregte er jedoch Widerspruch: «Das ist eine unbrauchbare Strategie», konterte Stephan Buchhofer. «Die Vorstellung: Künstler sind gut, Gewerbler sind schlecht, ist antiquiert – wir müssen von diesem schwarz-weiss-Denken wegkommen.» Und Julian Meier von der IG Schlachthof Kulturzentrum betonte, man wolle niemanden vertreiben, Ko-Existenz sei eine wichtige Voraussetzung für die Weiterentwicklung des Areals.
Wie aber kann die gewünschte Weiterentwicklung vorangetrieben werden? Das Areal gehört der Stadt. Die Liegenschaftsverwaltung hat den Auftrag, Aussen- und Innenräume zu vermieten – dies tut sie momentan zu günstigen Konditionen, leistet dafür aber auch nur das Allernotwendigste an Unterhalt. Man müsse die Stadt herausfordern – mit Ideen, Vorschlägen und Aktionen – mit einer «Motzvorlage», an der sich Meinungen kristallisieren können, lautete der allgemeine Tenor. «Etwas Neues kann dynamisieren. Wie etwa die Idee, statt bloss Parkplätze zu vermieten, einen Kubus für den künftigen Kinobetrieb des Filmpodiums aufzustellen. Oder ein Gebäude für studentisches Wohnen, für Co-working-spaces…», schlug Stephan Buchhofer vor. Nur bewahren sei mutlos.
Nach dem gut zweistündigen engagierten Austausch herrschte Einigkeit: Für die Entwicklung des Schlachthofareals auf die Stadt warten, ist keine Option. Vielmehr plädierten die Anwesenden dafür, selber die Initiative zu ergreifen und noch aktiver zu werden, um diesen einmaligen Ort als Kultur- Arbeits- und Begegnungsort «von unten her» weiter zu gestalten.