Im Innenhof, gleich gegenüber der ehemaligen Schlachthalle, geht’s ein paar Treppenstufen hinunter ins Soussol. Dort, hinter einer massiven Holztür verborgen, befindet sich ein Bijou, das man hier, im ehemaligen Schlachthof, zuallerletzt erwarten würde…
«Die Leute reagieren überrascht, wenn sie zum ersten Mal zu uns kommen. Dann tönt es immer wieder ahhh und ohhh…», lachen Yann Jauss und Nicolas De Nisco. Sie sind die Betreiber oder vielmehr die Gastgeber in der Cave des Gourmets. Ein Weinkeller, der zum Verweilen und Degustieren einlädt.
Wer den Raum betritt, findet zu seiner Rechten eine Auswahl an Rotweinen, die Weissweine präsentieren sich in den Gestellen an der gegenüberliegenden Wand. Das Sortiment umfasse rund 200 verschiedene Crus, schätzen die beiden. So genau wissen sie es nicht… «Wir probieren und entdecken gerne neue Weine – leider können wir nicht alles, was uns gefällt ins Sortiment aufnehmen, dafür fehlt uns der Platz», sagt Nicolas.
Der einladende Degustations- und Verkaufsraum ist gerade mal 80 Quadratmeter klein – der darüber liegende ehemalige Kühlraum, wo die Weine lagern, ist etwa gleich gross. Man erreicht ihn vom Hof her über eine Rampe. Die Temperatur in den gut isolierten ungeheizten Innenräumen sei ideal für den Wein, sagt Nicolas. «Idealer als für die Menschen», meint er augenzwinkernd.
Die beiden Weinliebhaber haben die Weinboutique im Herbst 2020 von Bruno und Christine übernommen. Diese gehörten nach der Schliessung des Schlachtbetriebs zu den ersten MieterInnen auf dem Areal und verwandelten den fensterlosen Raum im Untergeschoss unter der Rampe zur Cave des Gourmets. Im Lauf der Jahre bauten sie einen treuen Kundenstamm auf, zu dem auch Yann gehörte.
Heute ist der einstige Kunde zum Mitbesitzer der Weinhandlung geworden. «Angefangen hat alles im November 2019», erinnert sich Yann. Damals habe ihn Christine anlässlich einer Degustation gefragt, ob er jemanden wüsste, der das Geschäft übernehmen und weiterführen könnte – sie und ihr Mann wollten sich aus Altersgründen zurückziehen.
«Ich hatte zwei Wochen zuvor meine Stelle in einem Konstruktionsbüro verloren – das war die Chance meines Lebens», erzählt Yann weiter. Er und Nicolas hätten schon lange den Traum gehegt, gemeinsam eine Vinothek aufzubauen.
Mit Unterstützung von Bruno und Christine machten sich die beiden sofort an die Arbeit, erstellten einen Businessplan und rechneten… Während ihre Vorgänger den Weinkeller als Nebenerwerb betrieben, wollten Yann und Nicolas das Geschäft weiter ausbauen, um davon leben zu können.
Die Geschäftsübergabe fiel dann jedoch mitten in die Corona-Zeit. Die ersten Kontakte, die man mit Restaurants geknüpft hatte, wurden auf Eis gelegt. Immerhin konnten die alten und mittlerweile auch neu hinzugekommene PrivatkundInnen weiterhin beliefert werden. «Wein gehört zu den Gütern des täglichen Bedarfs – für uns ein Glück», sagt Yann. Geholfen habe auch, dass sie dank dem sehr tiefen Mietzins von 365 Franken im Monat kaum Fixkosten hatten.
Nach einer kurzen Umbauphase im Herbst 2020 öffnet die Cave des Gourmets seit Anfang Jahr seine Tür jeweils am Mittwoch und Donnerstag von 16 bis 19 Uhr und am Samstag von 10 bis 12 Uhr für KundInnen und Kunden und alle, die es werden wollen…
Von ihren Vorgängern haben sie einen grossen Teil des Sortiments übernommen. Bereits ist aber auch Neues hinzugekommen. So gibt es nun auch Bielerseeweine aus Tüscherz und Erlach zu degustieren und zu kaufen. Überhaupt soll das Regionale künftig mehr Gewicht erhalten. Auch Bioweine gehören neu zum Sortiment sowie Spezialitäten aus ganz Europa und ein paar wenige aus Lateinamerika.
Alle Weine sind ausgesuchte, spezielle Tropfen. Gleich über die Strasse befindet sich das Coop Zentrum mit grosser Weinabteilung – davon wollen sich Yann und Nicolas bewusst abheben. Zudem kann man in der Cave de Gourmets degustieren, bevor man kauft. «Wir wollen andere Weine präsentieren, die es beim Grossverteiler nicht gibt.»
Wer sich umsieht, ist überwältig vom vielfältigen und verführerischen Angebot. «Ein Wein muss nicht teuer sein, damit er schmeckt – möglichst alle Leute sollten sich Weingenuss leisten können», lautet ein weiterer Grundsatz ihrer Geschäftsphilosophie. So findet man dann in den Gestellen viele Flaschen zu einem Preis von unter 20 Franken.
Nach ihren Vorlieben gefragt, sagen Nicolas und Yann einstimmig: «Wir lieben Italien.» Ihre Pläne, die Winzerinnen und Winzer in ganz Europa persönlich zu besuchen und die Weine vor Ort auszuwählen, mussten sie vorerst zurückstellen. Corona machte diesbezüglich einen Strich durch die Rechnung.
Auch ihre vielen Ideen wie etwa Degustationen mit Musikbegleitung, Lesungen im Weinkeller und der Austausch mit KundInnen und WinzerInnen mussten sie bisher zurückstellen. Die beiden hoffen aber, dass sich dies nun bald ändern wird.
«Wein ist nicht bloss ein Produkt – Wein ist Begegnung», sagt Nicolas. «Das Schönste für mich ist, die Leute in unserem Keller zu empfangen. Der Ort hat Cachet, die Leute schätzen das. Er ist authentisch, ohne Schickimicki…».
Bei der Frage, ob sie auch erleichtert seien, dass das Areal nun nicht der Autobahn weichen müsse, wird Yann nachdenklich: «Erleichtert ja – aber was kommt jetzt? Was will die Stadt? Soll das Grundstück verkauft und alles niedergerissen werden? – Die Situation für uns Zwischennutzer kann sich jetzt ganz schnell ändern…»
Ein Abbruch des Schlachthofs, darin sind sich Nicolas und Yann einig, wäre schade. Die alten Gebäude hätten Charme, allerdings seien sie in einem schlechten Zustand. Um sie zu erhalten und instand zu stellen, bräuchte es grosse Investitionen.
Der ehemalige Schlachthof hätte aber grosses Potenzial, als Begegnungszentrum. Mit kleinen Bistrots, Restaurants, mit Marktständen in der hohen Halle, Ateliers — an idealer Lage, in der Nähe von Stadtzentrum und Bahnhof. «Die Menschen in Biel haben viele Ideen, daran fehlt es sicher nicht», sagt Nicolas. Bleibt die Frage, ob und wie sich auch dieser Traum realisieren lässt…